Bitte anklicken für die Konzertfotoserie © Hartmut Helms Nicht immer hat ein Lied das Zeug für die Ewigkeit und auch nicht immer ist ein Text dem Volk derart vom Munde geschrieben, so als wäre er mit abertausenden Zungen zur gleiche Zeit gesprochen. Doch manchmal haben Tausende die gleichen Gedanken, fühlen das gleiche und nur einer von ihnen vermag dies in Worte zu kleiden, so dass sich alle darin zu jeder Zeit wieder finden: Am Abend mancher Tage Der Anlaß für die Zeilen schmerzt mich heute noch, auch wenn der Unfall im Herbst 1978 schon mehr als 30 Jahre zurück liegt. Damals starben der Bandleader von LIFT, GERHARD ZACHAR sowie der begnadete Sänger und Texter, HENRY PACHOLSKI, auf einer Landstraße in Polen. Wenn ich nur daran denke, überkommt mich Wehmut und noch immer geht es wohl vielen ebenso. Wie sonst wären die feuchten Augen und das zaghafte Mitsingen dieser wunderschönen Ballade zu erklären. Zum ersten Mal hab’ ich diese Worte gestern von dem Mann gesprochen gehört, der sie schrieb und zum ersten Mal war mir, als wäre im Text nicht nur die Trauer und deren Überwindung beschrieben, sondern auch manch’ anderes Gleichnis darin versteckt. Die kleine Kulturkirche Weinberge auf dem Trachenberg am Dresdner Stadtrand ist gut gefüllt. Nur wenige Bankplätze und Stühle sind leer geblieben. Kein Wunder, LIFT ist nicht nur vom Ursprung her eine Dresdner Pflanze, sondern hier im Umfeld der Kirche begann einst als Dresden Sextett auch die Eroberung der kleinen DDR-Rockwelt. Einer, der das alles aus allernächster Nähe und als Teil dieser Geschichte, als Bassist, als Gitarrist, als Sänger und letztlich dann als Texter, miterlebt hat, ist JOACHIM KRAUSE. Er lebte im Umfeld der Kirche als Sohn des Pfarrers und Mitglied der Kirchengemeinde. Das Dresden-Sextett und -Septett, die spätere Gruppe LIFT, hatte ihr Zuhause ebenfalls hier. JOACHIM KRAUSE sitzt da vorn auf einem Hocker und erzählt sich einen Teil seines Lebens von der Seele. Er taucht ein in Vergangenes und Wohlbekanntes. Von ersten Begegnungen mit GERHARD ZACHAR ist die Rede, von der Freundschaft und von der ersten Gitarre sowie von einem Geldstück in Ermangelung eines Plectrums. Man spürt das Schwere in seiner Stimme, wenn er von der Baracke hinter der Kirche erzählt, in der die Proben der Band stattfanden, wo FRANZ BARTZSCH am Klavier seine neuen Stücke vorspielte. Dieses Instrument steht noch dort im Raum, der eine eigenartige Ruhe ausstrahlt, weil darin ein Stück Rockgeschichte gelebt wurde und der jetzt als Vereinsraum des Fördervereins dient. Manchmal sind die geschichtsträchtigen Orte nicht die, wo ein Monument oder ein Gedenkstein stehen, sondern die, wo das weiter gelebt wird, was an so einem Ort einstmals begann und noch immer Inhalt der gelebten Gemeinschaft ist. Zu dem intimen Ambiente der Kirche passt die Musik von LIFT, zumal in kammermusikalisch geschrumpfter Besetzung, wie eine kleine Perle in eine Muschel. Nach 37 Jahren, so WERTHER LOHSE, stehe er zum ersten Mal wieder in diesem Raum mit dem Altar im Rücken und dem Blick auf die Orgel. Es war ein Moment der Stille, als er dies aussprach, und der Kloß in seinem Hals war bis in die letzte Reihe spürbar. In diese abendliche Ruhe schmiegen sich Songs wie „Jeden Abend“ oder eben „Abendstunde, stille Stunde“ geradezu symbolhaft ein und unter dem Dach des Gotteshauses saß wohl auch niemand, der das nicht spürte. Irgendwie klang alles ein wenig neu, erlebte ich „Nach Süden“ anders und „Wasser und Wein“ in genau dieser Umgebung gehört, ließ die Bedeutung von „anderen Wasser predigen und selbst Wein trinken“ noch einmal völlig anders wirken – damals sowieso und heute schon wieder. Ironie der Geschichte und Wahrheit des Lebens, nur die Texte von heute lassen mich diese Gedankentiefe viel zu oft vermissen. Die alten Lieder von LIFT atmeten in diesen Minuten etwas Magisches und so manche Liedzeile wurde in dieser Umgebung von Halbwahrheiten, Vermutungen und Interpretationen befreit, erhielt ihre eigentliche Bedeutung zurück, von der ich und viele andere bis dahin nichts geahnt hatten. Natürlich hatte ich, wie so mancher DDR-Bürger auch, gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen und zu erkennen. Bei vielen der Songs von LIFT ist dies auch offenkundig und als „Nach Süden“ erklang musste niemand rätseln, was damit gemeint war. Indem JOACHIM Krause, der Pfarrersohn, seine Geschichten vom alltäglichen DDR-Wahnsinn erzählte, vom Leben mit der „Firma“, von Post aus dem Westen oder vom Erlangen der „Pappe“, sprich Spielerlaubnis, wurden Stück für Stück auch die tatsächlichen Hintergründe manches Textes deutlicher, was ich so nicht vermutet hätte. Diesem unscheinbaren Frühwerk „Wenn“ hätte ich eine solche Botschaft wirklich nicht zugetraut. Die Pause eignet sich gut für Gespräche und für einen Besuch des ehemaligen Proberaumes. Für einen verträumten Moment hätte Zachar hinter einem Busch hervortreten und Wolfgang „Scheffi“ Scheffler hätte vielleicht für ein paar Etüden am Klavier sitzen können. Manchmal geschehen eigenartige Dinge in solcher Umgebung und manchmal geschehen auch Überraschungen. Plötzlich stehe ich vor DINA STRAAT, Zachar’s damaliger Frau, und an der Seite ihre inzwischen erwachsene Tochter. Nach etlichen Telefonaten nun auch das überraschende persönliche Treffen in eben genau diesem Umfeld. Das hat schon einen Hauch von Magie! Dann erklingen wieder die Lieder jener Tage. Passend zu meiner Stimmung „Mein Herz soll ein Wasser sein“, mit Ivonne und Werther im Duett oder a capella intoniert und tief unter die Haut gehend die „Sommernacht“, die ich noch immer mit der Stimme von HENRY PACHOLKI verbinde. Es ist sein Lied und daran geht kein Gedanke vorbei! Wir hören die „Kleine Ahnung“ und „Meine Schulden“, ehe sich noch einmal JOACHIM KRAUSE vorn auf den Hocker setzt. die Gedanken gehen mit ihm zurück in Zeiten als „Tochter Courage“ für LIFT und STEFAN TREPTE entstand und was der Text von Frieder Burkhardt damals wirklich sagen wollte. Krause erzählt, wie er zunehmend auch für andere Texte schrieb. So für THEO SCHUMANN, HORST KRÜGER oder PANTA RHEI („Über mich“) und wie dieser Prozeß zunehmend auch seinen Rückzug von der Live-Bühne hin zum Texter zur Folge hatte. Er lässt die Jugendarbeit im Kirchumfeld noch einmal lebendig werden, erzählt Beklemmendes vom Umgang mit der Stasi aber auch von den schönen Episoden, die sein Leben ausmachten, ist die Rede. Alles auch nachzulesen in seinem Buch, das den Titel der Liedzeile trägt. Von einer Hochzeit und Trauung in der Weinbergskirche ist die Rede und wir erfahren, das die von GERHARD ZACHAR und DINA STRAAT gemeint ist, die an diesem Ort vorgenommen wurde. Seine Stimme wird leise, als er von der Tournee 1978 durch Polen spricht und von der Nachricht, dass ZACHAR und PACHOLSKI tödlich verunglückt seien und wie von diesem Moment an, seine Geschichte mit LIFT ihr Ende erreicht und er zwei Freunde verloren hatte. Von da an war dieses Kapitel für ihn abgeschlossen und nur noch ein einziges Mal, schrieb er ein halbes Jahr später einen Text zu einem Demoband von Scheffi: „Laß’ dir dazu mal was einfallen.“ Auf diese Weise entstand „Am Abend mancher Tage“ von der LP „Spiegelbild“. – „Danach habe ich nie wieder einen Rocktext geschrieben“, sprach’s, stand von seinem Hocker auf und setzte sich auf die Bank seiner Kirche… Als dann die Melodie erklang, war bei vielen sicher dieses mulmige Gefühl wieder da und auch mir gelang es nicht, die Gedanken zu verscheuchen. Das wurde auch nicht viel besser mit „Wind trägt alles Worte fort“, das Bodo in Erinnerung an seinen erst kürzlich verstorbenen Freund und frühen LIFT-Keyboarder FRANZ BARTZSCH sang. Wieder einmal stand im Raum diese Frage nach dem WARUM? Zum Schluß des Abends erklang in guter alter Tradition die „Tagesreise“ von MICHAEL HEUBACH und danach ging eine bewegende und sehr emotionale Lesung mit Live-Musik von LIFT ihrem Ende entgegen. So aufgekratzt war ich schon lange nicht mehr, so viele Erinnerungen stürmten durch meinen Kopf und so angenehm war dieser Abend natürlich trotzdem auch. Dem Förderverein „Kulturkirche Weinberg“ gilt ein großes Dankeschön, diese Lesung in Verbindung mit so einem Konzert organisiert zu haben. Liebevoll gestaltete Details, wie eine kleine Foto- und Erinnerungswand“Zeitung“ mit seltenen Zeitdokumenten, rundeten das Erlebnis ab. Kompliment an JOACHIM KRAUSE, der bescheidener als angemessen, Einblicke in sein ganz persönliches Leben mit der Gruppe LIFT, mit der Kirchengemeinde und sein Privatleben zuließ. Für Jugendliche eine gute Möglichkeit, Vergangenes besser zu verstehen. Für solche wie mich war es ein Erinnern und Besinnen gleichermaßen. Wieder einmal wurde mir bewusst, wie sehr mich die Rockmusik aus meinem „Wohnzimmer DDR“ ebenso prägte, wie die der Pilzköpfe & Co. und all der anderen Helden, die zu Hause auf Vinyl gepresst, auf Poster und Autogrammkarten gedruckt und in Geschichten gebunden darauf warten, irgendwann weiter gegeben zu werden. Weitergegeben in eine Zukunft vielleicht, die damit noch immer etwas Wertvolles, Bleibendes und Eigenes verbinden kann und sei es auch erst „am Abend mancher fernen Tage“: „Gib’ nicht auf, Anmerkung Gerd: Weiterführende Hinweise und Links: „Am Abend mancher Tage“, Wartburg Verlag 2008, ISBN 386160401 |