Juwelen-Story
Karat - ein klangvoller, einprägsamer Name - und: der Name ist Programm.
Hochkarätige Musik, mal rockig, mal sanft. Dass Karat ein Maß
für die Feinheit einer Goldlegierung oder die Gewichtsbestimmung
von Edelsteinen ist, dürfte ja bekannt sein ...
Die
Gruppe um Herbert Dreilich gibt es schon seit 1975 und gehört zu
den erfolgreichsten Gruppen in der damaligen DDR. Dreilich war schon 1970
in der Musikszene aktiv und spielte in der Band "Alexanders".
1971 gründete er mit Henning Protzmann und Ed Swillms die Gruppe "Panta Rhei" (übersetzt aus dem Griechischen: "Alles
fließt").
Dann
kam u.a. noch Veronika Fischer hinzu. Die Musik, die sie spielten, war
von Jazzrock-Einflüssen geprägt und kam beim Publikum nicht
besonders gut an. Veronika Fischer stieg bereits 1973 wieder aus und Henning
Protzmann fing an, eine andere Musikrichtung zu konzipieren, die mehr
der melodischen Richtung angehören sollte. Ed und Herbert waren von
den ersten musikalischen Versuche überzeugt und im Februar 1975 war
schließlich das Sextett komplett, nachdem noch Hans-Joachim Neumann
als zweiter Sänger, Gitarrist Ulrich Pexa und Percussionist Konrad
Burkert hinzu kamen. Sie nannten sich KARAT. Bereits im folgenden Jahr
ersetzte man die letztgenannten durch Bernd Römer und Michael Schwandt.
Neumi landete ein Jahr später bei der NVA und KARAT machten mit einem
Sänger, eben Herbert Dreilich weiter.
Die Leipziger Volkszeitung beschrieb den Beginn in einer Pressemeldung
"K...!" vom 31.12.2005 so:
"Die
Idee zum Namen hatte Ende 1974 Ulrich Pexa, der zusammen mit Henning Protzmann
(Panta Rhei) eine neue Band gründen wollte. Die beiden nahmen sich
Hans-Joachim "Neumi" Neumann, der der erste Sänger wurde,
Conny Burkhard und Christian Steyer dazu. Als Steyer lieber bei der Uwe-Schikora-Band
bleiben wollte, holte Ulrich Pexa als Keyboarder Ullrich Swillms, der
Herbert Dreilich mitbrachte. Beide kannten sich von "Panta Rhei".
Als "Neumi" zur NVA musste, wurde Herbert Dreilich der Sänger."
1978
veröffentlichte Amiga-Schallplatten die erste LP von KARAT
mit Kompositionen aus den letzten drei Jahren, darunter das geniale "König
der Welt". Das zweite Album erschien 1979: "Über sieben
Brücken" und enthielt, wie der Titel verrät, den Song,
mit dem man die Gruppe bis heute am meisten identifiziert. Einen ursprünglich
für einen TV-Film von Ulrich "Ed" Swillms geschriebenen
Song. Das gewaltige künstlerische Potential dieses wunderbaren Stückes
bekam im Westen Peter Maffay zu Gehör. Er nahm diesen Song auf und
viele meinten, es sei ein Stück von ihm. Auf der LP waren u.a. noch
das wunderschöne "Auf den Meeren" und vor allem "Albatros",
der die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit symbolisierte:
1979 begann die Band ihre erste Westtournee
- in (West-)Berlin.
Bereits 1980 erschien ihre dritte LP "Schwanenkönig".
Neben dem etwas sentimalen Titelsong (der durchaus polarisieren kann,
doch eine wunderschöne, traurige Ballade ist - nach dem Tod von Herbert
Dreilich wurde sie in diesem Zusammenhang oft genannt), sind noch weitere
unvergessliche Songs enthalten, wie das wahnsinnig stimmungsvolle "Magisches
Licht", die instrumentale und gesungene Version von "Le Doyen".
Für mich ist die gesungene Fassung ein wahres Juwel, ein kleines
Kunstwerk - sowohl von der Melodie und besonders vom poetischen Text her
gesehen. Die "Tiefsee", geheimnisvoll "inszeniert"
und das muntere "Narrenschiff". Nicht zu vergessen der "Tanz
mit der Sphinx" ... Ed zog sich
langsam von den vielen Liveauftritten zurück - aus
gesundheitlichen Gründen, wie es damals hieß. Von 1981 bis
Anfang 1984 teilte er sich die Arbeit an den Keyboards mit Thomas Natschinski,
komponierte aber weiter für KARAT. Ab März 1984 agierte Thomas
Kurzhals. Im sagenhaft gut recherchierten Buch "Geschichten vom
Sachsendreier" (Schwarzkopf & Schwarzkopf-Verlag, über
400 Seiten) berichtete Henning Protzmann vom "Übergang"
Thomas Natschinski zu Thomas Kurzhals:
"Kurzhals habe ich abgeworben. Da Ed nicht mehr so oft spielen wollte,
hatten wir zunächst Thomas Natschinski in die Band geholt. Dieser
Tausch war sowieso nur für einen bestimmten Zeitraum geplant. Es
ergab sich aber, dass Natschinski mit Gaby Rückert zu einem Festival
nach Villach (Anm.: Österreich, Kärnten) geholt wurde. Da standen
wir auf dem Schlauch, hatten Verpflichtungen in Ost und West ... Ich konnte
also verstehen, wenn das Kulturministerium sagte, wir sollen zu den Tagen
der DDR-Kultur in der Tschechoslowakei präsent sein. Das habe ich
schon verstanden und das war auch mein Problem, dass ich immer zwischen
der Band und der Administration stand. Der Ed wollte nicht, ich habe aber
gedacht, die Band muss spielen. Da hat mir die Agentur gesagt, wer Reisekader
ist, nämlich Andreas Bicking zur Hälfte und Thomas Kurzhals
ganz. Und da er sowieso ein Supertyp war und ich ihn schon kannte, blieb
mir gar nichts weiter übrig. Ohne eine Riesenbandbesprechung einzuberufen,
habe ich ihn eingekauft. Für große Diskussionen blieb auch
gar keine Zeit, denn wir hatten Verträge. Das sind die Hintergründe,
von denen niemand was wußte, was letztendlich zu Reibereien geführt
hat. Kurzhals hatte ein viertel Jahr Zeit, ist völlig in Swillms'
musikalische Haut reingeschlüpft, hat so wunderbar gespielt und danach
sogar noch eine Single gemacht - "Hab den Mond mit der Hand berührt/Hallelujah
Welt" - da dachten alle, so hätte Swillms geschrieben haben
können. ..."
Ed ließ 1982 das in seiner Geschlossenheit und Ausgefeiltheit wohl
beste KARAT-Album folgen:
"Der blaue Planet". Der Titelsong passte optimal in die
damalige politische Lage, in die Friedensbewegung und warnte vor einem
Untergang der Erde durch Neutronen- bzw. Atombomben. Appellierte eindringlich
an die Eigenverantwortung der Menschen.
Die Auftritte von KARAT bei der DDR-Kultsendund "Rock
für den Frieden" u.a. mit diesem Titel waren legendär!
Für diese LP, die auch unter die ersten 10 der LP-Charts im Westen
kam, kassierten sie dort eine goldene Schallplatte für 250000 verkaufte
Scheiben. Ein weiterer Hit war "Jede Stunde" mit stampfendem
Rhythmus und einem sehr guten Text, an dem Herbert Dreilich neben Norbert
Kaiser stark beteiligt war. In der Hauptsache war es aber der Texter und
Journalist Norbert Kaiser, der den wunderbaren Ed'schen Kompositionen
erst das poetische Leben einhauchte, das Karatsongs so einmalig und so
unvergesslich/-gänglich machte. Kaiser studierte übrigens Geschichte
und schrieb schon in jungen Jahren Gedichte ...
Ein schöner, rockiger Song mit Schlagercharakter waren die "Blumen
aus Eis". Aber ich hebe es mir bewusst zum Schluss auf:
Was die Band mit den beiden letzten Songs kreierte, war beispiellos genial.
"Die Gefährten des Sturmwinds". Ein hammerstarkes Lied,
das sich von der anfänglichen Sanftheit langsam bis zu einem furiosen
Schluss steigert, mit einem sanften Ausklang wie zu Beginn. Mit herrlichen
Dynamiksprüngen dazwischen. "Wie weit fliegt die Taube",
praktisch eine Fortsetzung des Titelsongs. Mit dieser LP hatten KARAT ein Meisterstück abgeliefert und die lange Produktionszeit
war äußerst gut angelegt. Gut, vergessen: "Der Spieler",
bei dem Ed sein einziges Lied für KARAT sang. Gelungen auch der instrumentale
Einstieg mit "45-01" bei Livekonzerten zunächst vom Band:
Einzeln betraten die "Karatler" zu diesen Klängen die Bühne
und spielten dann live weiter. Ein kleines Erlebnis am Rande: Wohl 1983
im Discostudio Schnaid bei Bamberg. Herbert kündigte die "weiße
Taube" an. Thomas Natschinski fing zu spielen an und spielte mehrmals
den gleichen Anfang, sozusagen im Kreis herum. Hörte dann abrupt
auf. Dann ging das Bühnenlicht an und Herbert meinte zu seinem Mann
am Mischpult, dass er mehr Licht zugeben solle, weil Thomas sonst die
Noten nicht sieht. Sprachs und schon konnte es fehlerlos weitergehen.
Im
November 1984 entstand im damaligen Disco-Studio in Schnaid bei Bamberg
das Foto (rechts) mit Herbert, als der schon lange aufgelöste
Karat-Hauptfanclub Essen so weit her ins Frankenland fuhr ... für
mich (rechts auf dem Foto) war die Begegnung eine Sternstunde. Damals sang Herbert übrigens
eine englischsprachige Zugabe, "Let it be" (Beatles). Thomas Kurzhals bediente bereits die Keyboards.
Fortsetzung rechte Spalte
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Christian Reder (Deutsche Mugge e.V.) verfasste eine ausführliche Rezension zur Doku-DVD "Albatross (Eine Band erzählt ihre Geschichte)". Empfehlenswert, weil sie sehr ausführlich auf die Geschichte der Band und vor allem auf Herbert Dreilich eingeht, der am 5. Dezember 2012 70 Jahre alt geworden wäre:
Bitte anklicken!
Fortsetzung linke Spalte:
Nach der LP "Die sieben Wunder
der Welt" und der fantastischen Live-Doppel-LP zum
10-jährigen Bestehen der Gruppe (von der es leider nur Auszüge
auf der CD "Tanz mit mir! Live" gibt). Eine Zäsur für
die Band bedeutete nicht nur der Ausstieg von Ed Swillms, der Einstieg
von Thomas Kurzhals, sondern auch der Abgang von Basist und Manager
Henning Protzmann unter etwas dubiosen Umständen. Ich muss immer
wieder im Nachhinein feststellen, dass Henning ein großartiger
Bassgitarrist war, der bei jedem Liveauftritt "sein" Solo
hatte - mit erregend schönen magengrubenverdächtigen Einlagen.
Einfach virtuos. Christian Liebig von der Gruppe Engerling wurde nach
dem Abgang von Henning engagiert und 1986 kam die "Fünfte
Jahreszeit" heraus. Ed war nicht mehr der (fast) alleinige
Komponist dieser Werke. Dreilich und Kaiser ließen u.a. mit
der "Glocke Zweitausend" aufhorchen. Von Thomas Kurzhals
war die Single "Hab den Mond mit der Hand berührt"
dabei.
In der Wendezeit 1989 entstand das
fast vergessene Werk "... im nächsten Frieden" - mit Produzent Burkhard Brozat. Eine knapp über 30-minütige
LP/CD. Peter Maffay und Herbert Dreilich sangen gemeinsam die "Sieben
Brücken" in einer schönen Neuaufnahme. Komposition
und Text der übrigen Lieder teilten sich Brozat und Dreilich.
Bei "Immer so" stammte die Musik von Thomas Kurzhals. Ich
fand die CD wirklich nicht übel, aber sie wurde einfach zu wenig
gekauft und ging im neuen gemeinsamen West-Ost-Musikmarkt unter. 1991
erschien "KARAT". Es wirkten auch zwei Gastmusiker
mit: Adrian Askew und Dieter Faber. Fast durchweg Kurzhals/Dreilich-Kompositionen,
die mich nicht vom Hocker rissen - mit Ausnahme eines Liedes von Thomas
Natschinski (Musik) und Heinz Kahlau (Text): "Sei nur du".
Einfach wunderbar, sowohl von der Interpretation durch Herbert als
auch vom Arrangement her. Vom Text und der schönen Melodie sowieso.
1995 folgte die CD "Die geschenkte Stunde",
bereits mit dem neuen Keyboarder Martin Becker, da Kurzhals wieder
dem Ruf zu Stern Meißen folgte. Und Martin mischte bei allen
Songs kräftig mit.
"Balance" wurde 1997 eingespielt - für mich
eine tolle CD mit schönen Kompositionen und Texten, wie z.B.
"Vielleicht", "Der Ozean" (ein Hit!), "Niemandsland"
usw.
Im Oktober 1997 erlitt Herbert auf
offener Bühne einen Schlaganfall, der für die Band und ihre
Fans ein Schock war. Er erholte sich aber mit eiserner Disziplin und
fortan war der Song "Mich zwingt keiner auf die Knie" mit
besonderer Symbolik für ihn behaftet. Das kam bei den folgenden
Konzerten immer sehr deutlich zum Ausdruck. Zum 25-jährigen Jubiläum
kam die CD bzw. Doppel-CD "Ich liebe jede Stunde" heraus, ein Sampler mit drei neuen Kompositionen von Herbert und einer
Neuaufnahme von "Jede Stunde". Am 9. September 2000 wurde
vom Jubiläumskonzert "25 Jahre KARA") ein denkwürdiger
Livemitschnitt (VHS-Kassette und 2005 als gekürzte DVD) vor einer
Riesenkulisse auf der Berliner Wuhlheide aufgenommen. Mit rührenden
Auftritten der Karatkinder. Und bereits hier sang sich Herberts Sohn
Claudius mit "Abendstimmung" in die Ohren der Anwesenden.
Ich selbst war hin und weg über die Ähnlichkeit in Stimme
und Aussehen mit Herbert. Herberts Freund Peter Maffay war zusammen
mit seinem Schlagzeuger ebenfalls vertreten.
Besonders schön die
"Sieben Brücken" in einer Long Version zum Schluss
des Superkonzerts.
Es
gäbe noch vieles zu berichten, was den Platz auf einer Website
aber sprengen würde. Sicher stellte für Herbert die Mitwirkung
in der MDR-Show "José Carreras Gala 2000" einen besonderen
Höhepunkt dar. In dieser Benefizsendung zugunsten Leukämie
kranker Kinder sangen der weltberühmte Sänger José
Carreras sowie Peter Maffay mit Herbert Dreilich zusammen den Karat-Erfolg
"Über sieben Brücken".
(siehe
Foto rechts).
Mehr
...
Was ab Herbst kam, ist ja bekannt.
Herberts Krebserkrankung, der er am 12.12.2004 erlag. Und seit April
2005 ist Claudius der Sänger von KARAT - mit großem Erfolg!
Seit einigen Monaten macht die Witwe von Herbert, Susanne Dreilich
der Gruppe die Namensrechte streitig, die sie von ihrem Mann vererbt
bekam. Eine Gruppe ohne Namen? Am 29. Dezember lüftet sich bis
zu einem möglichen Urteil in einem Gerichtsverfahren der Vorhang.
In unseren Herzen wird die Gruppe immer KARAT heissen, egal, wie sie
sich nennen darf ...
Gerd Müller.
Foto: Oldie Markt
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