+23. Oktober 2009 - Cäsars erster Todestag

Ein KARUSSELL auf Tour, live November 1978 – BESINNUNG 2009

Wenn schon im rockmusikalischen Sinne Legenden, dann gab es sie bereits in den ausgehenden 70ern mit Namen wie Jimi Hendrix, Brian Jones, Jim Morrison und Janis Joplin, um deren Leben und Musik sich Erinnerungen und Erzählungen rankten und ranken.

In der kleinen DDR war die Bürkholz-Formation aus meinem Gesichtskreis entschwunden und die Klaus Renft Combo war verboten worden. Das fand ich äußerst bedauerlich, aber vor allem das internationale Überangebot an exzellenter Rockmusik, die Kreativität der 70er Bobast-, Art- und Heavy-Rocker und die quirlige Folkszene ließen Legendendenken, zumindest bei mir, nicht zu. Ich war mit Musik bestens eingedeckt.

Und dann gab es ja diese Gruppe KARUSSELL, bei der sich am Schlagzeug Jochen Hohl und vorn am Mikrofon mit der Gitarre CÄSAR, die beiden ehemaligen Renftler, wieder fanden. In jenen Jahren wurden viele Bands neu formiert und KARUSSELL war eine von ihnen, allerdings eben die mit CÄSAR.
KARUSSELL war im Frühjahr 1976 aus einer Leipziger Amateurband hervorgegangen. Die beiden ehemaligen Renft-Musiker erwiesen sich schnell als Glücksfall, denn vor allem CÄSAR war einer, der schon damals einen eigenen Namen hatte, dem Geschichten nacherzählt wurden. Eine Legende war die verbotene Klaus Renft Combo damals sicher nicht und CÄSAR wollte dies auch nicht sein. Noch stand dem Sänger und Gitarristen der Sinn nach Musik, nach Rock’n’Roll und dem, was sich damit verband.
Keyboarder und Bandchef Wolf-Rüdiger Raschke, ein Organisationstalent besonderer Art, nutzte die entstandene Chance und das KARUSSELL drehte sich mit den Jahren immer schneller. Der Rundfunk wurde aufmerksam, produzierte mehrere Titel und 1978 legte die Band ihre erste Amiga-LP „Entweder oder“ vor. KARUSSELL war ausgebucht bis unter die Hutkrempe und tourte auf vollen Touren.

Am 1. November 1978 hatte ich das Glück, diese Gruppe für ein Konzert auf der Bühne des alten Gesellschaftshauses in Elsterwerda bei ROCK-MIX 4 zu haben. An jenem Ort, wo ich schon 10 Jahre zuvor, die frühe Version der Klaus Renft Combo mit Klaus, Fetz, Matko und Stolle zum Tanz und ab 1970 die Combo in der „Originalbesetzung“ erleben durfte. Davon existiert sogar ein Foto. Nun also stand CÄSAR wieder einmal auf diesen Brettern und mit ihm jene Band, die in den Augen vieler, die ich kannte, die Tradition der Klaus Renft Combo angemessen weiter ausmachte.

Dieses KARUSSELL befand sich im Zenit des rockigen Lebens. Links am Bühnenrand Wolf-Rüdiger Raschke mit seinen Tasten und auf der rechten Seite gegenüber, der ruhige Claus Winter am Baß, mit seiner Löwenmähne und dem Schnauzer im Gesicht. Im Hintergrund auf einem stinknormalen Stuhl (!) sitzend, Jochen Hohl hinter der Schießbude. Vorn an der Rampe von rechts nach links Bernd „Hula“ Dünnebeil, der stille Gitarrist und „McDonald“-Erfinder, Reinhard „Oschek“ Hut, der Mann mit der kristallklaren Stimme und eben CÄSAR.

So aufgestellt krachten sie ihre Songs in den alten Saal und der bebte bei den wuchtigen Keyboard- und Gitarren-Akkorden von „Ehrlich will ich bleiben (Lügenmale stehen keinem zu Gesicht)“. Das hätte das Credo der Band werden können, unseres da unten war es, auf jeden Fall aber gefühlt. Als CÄSAR dann „Whisky“ sang und sich schmerzhaft mit seiner Gitarre in den Blues wühlte, war sie wieder da, diese Aura und dieses seltene Gefühl von einem, der über sich selbst sang und uns hätte meinen können. Dabei war der Mann nur wenige Monate älter als ich.
Nicht sehr viel anders war’s bei „Fenster zu“ und jener wundersamen Geschichte von „McDonald“, der keine Augen für seine Frau, wohl aber für seine tausend Schafe hatte. Der Song war der ganz große Wurf für „Hula“, den einfühlsamen zweiten Gitarristen in der Gruppe.

Erster absoluter und noch immer so empfunder Höhepunkte des Konzertes war „Entweder oder“, das mir 30 Jahre später noch immer Gänsehaut bereitet. Da stimmte einfach alles! Die Orgelklänge, die letztlich in wuchtig fragende disharmonische Akkorden einmünden und darüber „Oscheks“ kristalklare Stimme. Der Mittelteil, geprägt von CÄSAR’s entfesselter Gitarre, die sich Duelle mit der von „Hula“ lieferte und letztlich das Duett der beiden Flöten, CÄSAR und „Hula“ synchron im Ausklang des Instrumentalparts, dem Vorbild von KING CRIMSEN’s „In The Court Of The Crimsen King“ nachempfunden. KARUSSELL nahm eben nicht nur Trends auf, sondern bestimmte sie zuweilen mit ihren eigenen Songs auch. Ich denke, die aktuelle Band tut gut daran, sich an dieses Stück mit den beiden Blockflöten nicht zu wagen.

Auch damals kein Konzert ohne die „Rose“. Da war sie wieder, diese Ahnung von einer weitergeführten Tradition, die wohl eher der Wunsch des Publikums, denn der Musikanten war.
Mein zweiter absoluter Höhepunkt, auch schon damals und zuvor bei der Klaus Renft Combo, war „Besinnung“, jene schmerzhaft unter die Haut gehende simple Melodie, deren dunklen lyrischen Atem damals noch keiner spüren oder ahnen konnte, zumal wir alle, noch jung an Jahren, nur den Genuß des Lebens und unsere eigenen Ideen davon im Kopf hatten.

Also ging’s weiter mit „Cäsar’s Blues“, den sich der Barde selbst auf den Leib geschrieben und in die Gitarrensaiten gezaubert hatte. Dieses „wie ein Musikant auf ’ner Regenwiese“, die Mähr vom Musiker, ohne Geld in der Tasche und den vielen Mädchen an jedem Finger. Gelebt oder nur gesungen, wer weiß das schon?
CÄSAR steht dort oben, wie immer die Gitarre am Hals hängend und eine häßliche „Präsent-Hose“ an, die von irgend so einem Kunstoff-Gürtel gehalten wird - Mode und „Schönsein“ war nie sein Ding. Er steht da, in sich versunken und ist mit den Tönen im Reinen, daran ändert auch eine „Präsent-Hose“ nichts. Ein Bild, das sich mir eingebrannt hat in diesem Moment, wie das eines Rory Gallagher - Typen auf ostdeutschen Bühnenbrettern.

Die Hütte war knackevoll, bis in den Rang gefüllt und die Band war in allerbester Spiellaune.
Die „Nachtigall von Leipzig“, die damals noch dichtes und nicht silbernes Haar hatte, sang sich bei „Autostop“ die Seele aus dem Leib und diesen Trotz, den jeder von uns schon mal, am Straßenrand stehend und wartend, gespürt hatte auch. KARUSSELL sang sich und uns viele solcher Themen aus dem Herzen und ganz sicher machte das die Faszination der Musik insgesamt aus. Getragen von exzellenten solistischen Leistungen, die jeder der Instrumentalisten auch Gelegenheit hatte zu zeigen.
Das Baß-Solo von Claus Winter, der meist still in der rechten Bühnenecke stand, war einfach nur geil. Einen leisen Gruß in den Rockerhimmel zu ihm und all den anderen.
Solistisch waren sie alle Könner, und als Band spielten sie damals in der allerersten Liga und paßten dennoch dort nicht hin.

Auf den alten Bühnenbrettern im Beat-Schuppen „Hoppenz“ in Elsterwerda haben schon in den 60ern viele Größen gestanden: Theo Schumann, Uve Schikora, die Sputniks, die Berolina Singers, Modern Soul, die Stern Combo Meissen, Klaus Renft mit Beyer und später mit CÄSAR. Nun, im November 1978, auch endlich KARUSSELL und wieder CÄSAR.

Nach dem Konzert gab’s noch viel Zeit zum Quatschen, Zeit für ein oder zwei Bier und ein Gruppenfoto, eines der wenigen, das damals entstand. Als ich kürzlich, 30 Jahre später, in Dresden dem Techniker Klaus „Bemme“ Brömme das Gruppenfoto der Band mit seinem Hinterteil darauf zeigte, konnte der sich ein Grinsen auch nicht verkneifen.
Diese Unbeschwertheit von damals, würde ich gern noch einmal spüren, denn sie macht für mich persönlich den Unterschied zum Heute aus. Viel mehr war und ist es gar nicht und doch ist der Unterschied so wahnsinnig groß. Gefühle sind eben doch mächtiger und auch nachhaltiger, als gläserne Einkaufstempel und betonierte Autobahnen mit den modernen Autos, die über sie Richtung Horizont ins Nirgendwo hetzen.

Für mich selbst weiß ich, daß wir am 23. Oktober 2008 nicht nur einen genialen Songschreiber, Gitarristen und Sänger verloren haben, sondern wahrscheinlich eine der letzten großen Symbolfiguren des verschwundenen Landes und inzwischen auch des großen Ganzen, in dem er nahezu 20 Jahre lebte und künstlerisch vielseitig wirkte. Gegangen ist die ehrliche Haut von nebenan, der einprägsame schlichte Charakter, der in Zeiten, in denen unsereiner gelebt, geliebt, gehaßt, gelitten, gehofft und manchmal auch gesoffen hat, gleiches mit uns erlebte und dies in seinem Zweifel und Suchen zu den schönsten und innigsten Liedern unserer Jugend und meines Hierseins machte.
Gegangen ist einer, bei dem ich immer das Gefühl hatte, so wie er sein zu können und wir alle fühlten, er ist wie jeder von uns, nur anders. Er war einer, der Menschen ehrlich beeindruckte und sich auch von ihnen und ihren Worten beeindrucken ließ. Das macht ihn so herausragend, macht ihn zum Vorbild, vielleicht auch zur Legende.

Gern hätte ich mich persönlich bei ihm bedanken wollen, hätte gern noch mehr mit ihm gesprochen, als ich es ohnehin getan habe und gern hätte ich ihn Freund nennen wollen, wenn es sich zufällig so ergeben hätte. Er fehlt mir und vielen meiner Generation. Eine Legende nennen kann und will ich ihn dennoch nicht. Für mich ist und bleibt er Begleiter auf all meinen Wegen, gestern, heute und auch noch morgen, ein Weggefährte eben.

Es werden viele Jahre wie dieses erste nach seinem viel zu frühen Tod vergehen. Das kleine Apfelbäumchen auf dem Leipziger Südfriedhof wird wachsen und viele Äpfel mit Gesichtern tragen.
Auch wenn wir dereinst nicht mehr sein werden, wird seine Musik, seine Kunst leben und Menschen erfreuen oder nachdenklich stimmen. Wir sind noch eine Weile hier geblieben, um den nach uns Kommenden davon zu erzählen und ihnen dieses Vermächtnis aus unseren Zeiten vertrauensvoll in ihre Hände zu legen. So wird es sein, mein CÄSAR….

„…..mach die Augen zu, mach die Augen zu,
dann spürst du da drinnen unendliche Ruh’.“








Die folgenden Fotos zeigen das Gesellschaftshaus Hoppenz -
ein Jammer und eine Schande ...












"Bemme" (den man nur von hinten sieht!) ist heute noch dabei ...

Cäsars Grab am 23. Oktober 2009 auf dem Leipziger Südfriedhof

Seite eingestellt: 23. Oktober 2009