Titel: "Mein Lebensgefühl Rockmusik"
Interpret: Harmut Helms
Verlag: Edition bodoni
ISBN: 978-3-940781-24-6
VÖ: Januar 2012

ca. 334 Seiten - Paperback / Taschenbuch - 140 s/w-Fotos

 

Nur Momentesammler?

Seit Januar ist das 334-seitige Werk im Handel und liegt schon einige Wochen griffbereit neben mir. Warum so lange? Weil man das Buch, das Eintauchen in den musikalischen Kosmos, in das persönliche Umfeld des Hartmut Helms behutsam, portionsweise lesen, ja genießen sollte. Damit genug Zeit bleibt, seine Schätze quasi auf der Zunge zergehen zu lassen. In akribischer Weise lässt uns der Autor an seinem „Lebensgefühl“ teilhaben. Dabei ist es weit mehr als das. Es ist eine Zeitreise durch ein aufregendes, wildes, aber auch nachdenkliches musikalisches (Er-)Leben, das er als zeitweiliger Konzertveranstalter und kompetenter Musikfreund niederschrieb. Hochinteressant sind seine Erfahrungen, die er in dieser Funktion mit verschiedenen Institutionen der DDR erlebte.

Er lässt den Leser an einem fast nicht enden wollenden Wechselbad der musikalischen Reminiszensen aus alten wie neuen Tagen teilhaben. Man ist so nah am Miterleben, Mitfeiern, Mitfiebern, als habe man ebenso begeistert neben ihm gestanden und das Geschehen auf der jeweiligen Bühne verfolgt. Und seine Reaktionen. Sicher hängt dies auch mit seinem ausdrucksstarken Schreibstil zusammen, der einfach keine Langeweile aufkommen lässt. Man spürt das sprichwörtliche „Herzblut“, das jede Seite durchwallt.

Die meisten Artikel sind schon vor vielen Jahren entstanden, oft kurz nach einem besonders beeindruckenden Rockkonzert. Sonst würden doch lange zurück liegende Erinnerungen verblassen. Wie soll man aber ein Buch rezensieren, das zum großen Teil aus persönlichen Rezensionen besteht? Das geht natürlich nur sehr bedingt. Man kann allenfalls versuchen, die bildhaften Beschreibungen einzuordnen und in einen größeren Kontext stellen …

Fast alle namhaften Bands, Sängerinnen und Sänger, die in der DDR auftraten, teilweise von ihm im Gesellschaftshaus Elsterwerda engagiert, finden im Buch ihren Platz. Mit oft sehr emotionalen Erlebnissen lässt Hartmut Helms tiefe Einblicke zum Beispiel zur Klaus Renft Combo, den Puhdys, Sputnicks, LIFT mit dem unvergesslichen Cäsar, Electra, Stern Combo Meißen, Kreis, Schubert Band, Possenspiel, Prinzip, Karussell, Reform, Jürgen Kerth, Omega und vielen anderen Revue passieren. Bis zur Wende sind es ca. 100 Seiten, die seit seinem ersten, selbst organisierten Konzert mit drei Amateur-Gruppen im Jahr 1974 das Buch füllen. Nach einer nicht nur für ihn schmerzlichen Phase ab der Wende, wo er mit sich und dem neuen, übergestülptem „System“ hadert, wendet er sich auch Interpreten zu, die er vorher nie live erleben durfte. Sein großes Musikherz schrie förmlich danach, endlich die nur aus Platten oder Radio bekannten Lieblinge live erleben zu können.

So schildert der Autor auf den letzten 200 Seiten sowohl Wiederbegegnungen mit Bands aus der DDR, aber auch Formationen, Sängerinnen und Sänger, die meist nur im Westen auftraten. Endlich konnte sein musikalischer Hunger nach Ten Years After, Brian Auger, Queen & Paul Rogers, Uriah Heep und anderen im jeweiligen Auditorium gestillt werden. Freie Fahrt war ja garantiert.

Er charakterisiert Musik nie nach ihrer Herkunft und ist keinem Schubladendenken verfallen. Sein langjähriger schottischer Freund David verhalf ihm über die Jahre zu vielen Langspielplatten, die man sonst nur im Westen erwerben konnte. So baute er sich auch mit „Westbands“ kontinuierlich eine stattliche Sammlung auf. Zu meiner Überraschung kannte er sogar die norwegische Band „Titanic“, die ihn durch das mächtige Orgelspiel an Frumby oder Vanilla Fudge erinnerten (Seite 231). Auch hierzu beschreibt er wie zu allen anderen Interpreten mit fundiertem Insiderwissen das jeweilige Umfeld.

Zwischen den vielen Konzertberichten finden sich Zusammenfassungen des „Musikliebhabers, Konzertgängers und Aufschreibers“, wie er sich in einem Kapitel nennt. Längere Abhandlungen, die die einzelnen Beiträge in einen Zusammenhang stellen.

In seinen „Kurzgeschichten aus Vinyl“ beschreibt er, wie er auf oft abenteuerliche Weise zu dieser oder jener Platte kam, schreibt über Briefkontakte oder einfach Dinge, die schon wieder eine eigene Geschichte erzählen würden.

Man kann ruhigen Gewissens nicht nur Musikfreunden aus dem östlichen Teil Deutschlands, sondern gerade interessierten Menschen aus den westlichen Bundesländern das Buch empfehlen. Dann wird man vieles besser verstehen als das, was Politiker oft von sich gaben oder noch geben.

Insider wissen, dass er seine Gedanken nicht selten auch in Gedichtform herausfließen lässt. Ich zitiere eine Passage aus seinem "Wunschzettel in Versform", der das Buch beschließt:

„Ein Mal soll die Menschheit die Hände sich reichen,
ein Mal nur statt Bomben Kulturhäuser bau’n,
ein einziges Mal eine Dampfwalze fahren,
ein einziges Mal sollen Frauen braune Männer verhau’n“

Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer, dass das Buch absolut empfehlenswert ist. Von einem Sammler „musikalischer Momente“.

Zum Weitervertiefen empfiehlt sich die Website des Autors.
Und ein Bericht über seine Lesung vom 24.03.2012 in Berlin auf
"Deutsche Mugge" - Foto rechts: Hartmut Helms.

Gerd Müller - Februar 2012